4. Törchen

Tagebuch eines Mörders

 

31. März 1922: Das gelbliche, flackernde Licht wirft ihre Schatten aus dem Fenster, wie in einem Puppenhaus. Ich weiss alles. Sie fühlen sich sicher. Abseits vom Dorf, wo niemand ihren Geiz und ihre Sünden sieht. Aber Gott sieht al­les. Gott wird sie strafen. Ich werde ihre Strafe sein. Ich habe versucht sie zu warnen, aber sie wollen nicht hören. Und wer nicht hören will, muss fühlen. Ich muss es tun. Gott wird mir danken.

 

„Essen ist fertig“ sagte sie und stellte den dampfenden Kochtopf auf den Tisch. Es gab Suppe.

Andreas und Cäzilia, die beiden Ältesten, ihre Tochter Viktoria und deren beiden Kinder Cäzilia und Josef setzten sich an den Tisch. Sie schöpfte ihnen. Die Suppe dampfte vor sich hin. Sie setzte sich. Sie sprachen kurz ein Gebet, danach assen sie. Die Suppe schmeckte gut, und sie wärmte, denn für Ende März war es doch immer noch kalt. Sie sah aus dem Fenster. Es war dunkel, und ein leichter Dunstschleier hing über dem Hof. Ein Hund bellte. „Was war denn mit dem Rind heute?“ fragte Viktoria. Andreas zuckte mit den Schultern. „Ach, nichts weiter. Jemand hatte es losgebun­den. Das arme Vieh war völlig durchgedreht. Wahrscheinlich war es schon wieder einer dieser blö­den Scherze. Mach dir keine Sorgen, mein Kind“, sagte er und sah sie an. Sie lächelte. „Nenn mich nicht 'mein Kind'“. „Wurde der Schlüssel wieder gefunden?“, fragte sie. Augenblicklich schlug die Stimmung um. Es schien, als sei die Temperatur im Raum schlagartig gesunken. Selbst die Kinder sahen sie an. „Dafür, dass du neu hier bist, weisst du ziemlich viel“ brummte Andreas, dann beugte er sich wieder über seine Suppe.

Andreas wachte auf. Draussen muhte das Vieh. „Verdammt“, murmelte er. Er stand auf. Auf dem Weg in den Hof begegnete er seiner Frau, seiner Tochter und dem Mädchen. Sie alle waren vom Lärm draussen geweckt worden. „Diesmal sind sie zu weit gegangen“, sagte er und ging nach draussen zum Stall. Mit hastigen Schritten überquerte er den Hof. Der Kies knirschte unter seinen Schuhen. Das Tor stand offen, drinnen brannte Licht. Er trat ein. Drinnen war alles still und sauber, wie er es zurückgelassen hatte. Das Tor knarrte und schloss sich. „Was zum...?“ weiter kam er nicht.

 

1. April 1922: Es ist vollbracht. Jetzt heisst es warten. Ich werde nicht fliehen. Alle haben bekommen, was sie verdie­nen. Bis auf den letzten. Bald wird sich ihre Abwesenheit bemerkbar machen.

 

2.-3. April: keine besonderen Vorkommnisse. Ich kümmere mich gut um die Tiere, sie trifft in diesem verseuchten Ort keine Schuld.

 

Die Kirchenglocke im Dorf läutete. Der Ortsführer Lorenz Schlittenbauer trat aus der Kirche. „Selt­sam, dass die Grubers sich nicht haben blicken lassen, normalerweise sind die immer die ersten, die in der Kirche sitzen und beten“, meinte Michael. Der Gottesdienst war gerade fertig, die Dorfbe­wohner verliessen nacheinander die Kirche und gingen plaudernd nach Hause. „Auch sonst schei­nen die sich nicht mehr blicken zu lassen. Hab gestern noch den Josef getroffen, der, der immer die Post bringt. Er sagte, dort liegt noch die vom Samstag.“ Der Monteur Albert gesellte sich zu ihnen. „Geht's um die Grubers? Ich war heute kurz wegen einer kaputten Maschine bei ihnen. Hab 5 Stun­den dort verbracht, aber keiner war zu sehn. Irgendetwas ist hier falsch. Auch die kleine Cäzilia fehlt seit Montag in der Schule.“ Lorenz blieb stehen und schaute in die Gesichter seiner besorgten Mitbürger. „Albert, geh doch nach Hause. Michael, hol schnell den Jakob, wir schauen uns das mal genauer an.“ Am Hof angekommen, sahen sich die drei Männer um. Es war still, gelegentlich muh­te eine Kuh. „Am besten teilen wir uns auf.“ Lorenz ging in Richtung Haus, Jakob übernahm die Scheune und Michael ging in den Stall.

Michael stiess die Stalltür auf, die quietschend aufsprang, und betrat den Stall. Im dämmrigen Inne­ren war es still und leer, die Tiere waren draussen. Ein unerträglicher Geruch stieg ihm in die Nase. Er wich zurück, wobei sich sein Fuss in etwas verfing und er stürzte zu Boden. Als er sich aufrich­tete, sah er, dass er über ein Tuch gestolpert war. Er hob das Tuch an, liess es aber gleich wieder fallen. Ihm bot sich ein schrecklicher Anblick, der ihn noch sein gesamtes Leben lang verfolgen würde. Schreiend stürzte er aus dem Stall. Draussen kam bereits Jakob auf ihn zugerannt, kurz dar­auf trat auch Lorenz aus der Vordertür in den Hof. „Ruft die Polizei!“, war alles, was er noch her­ausbrachte, bevor seine zitternden Knie nachgaben und er sich übergab.

 

4. April: Die Tat ist aufgeflogen, die Polizei ist eingetroffen. Aber ich war schneller. Und schlauer. Mal sehen, was die­se Dorftrottel gegen mich ausrichten können. Ich bin ehrlich gespannt.

...

 

© Linda E. Wilhelm

 

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