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Michael Pöll sass auf einem Holzstuhl in der Küche. Er war der erste der drei Männer, die die Toten gesehen hatte. Er war immer noch bleich im Gesicht und zitterte leicht. Reingruber sass ihm gegenüber, Lukas lehnte in einer Ecke an die Wand und beobachtete sie. „Herr Pöll, sie sind der erste, der die Tat entdeckte, könnten Sie es uns genau erzählen, was Sie gesehen haben?“ Michael holte tief Luft, dann erzählte er. Lukas machte sich hier und da Notizen. Als er fertig erzählt hatte, nickte Reingruber. „Haben Sie eine Idee, wer dies gewesen sein könnte?“ Michael schüttelte den Kopf. „Nein, mir fällt niemand ein, der so etwas getan haben könnte. Die Grubers waren nie sonderlich beliebt hier, muss man sagen. Aber das...“ Er schüttelte fassungslos den Kopf.
Der nächste war Jakob. Jakob erzählte detaillierter. „Der Michael klopfte nach dem Gottesdienst an meiner Tür, der Lorenz würde sich Sorgen um die Grubers machen, es wäre besser, wenn wir mal nachschauen würden. Wir haben uns aufgeteilt. Ich hab die Scheune abgesucht, Lorenz ist ins Haus gegangen und der arme Michael hat den Stall abgekriegt. Armer Kerl, war wohl etwas zu viel für ihn. Ich bin sofort rausgerannt, als ich ihn hab schreien hören. Lorenz kam zur selben Zeit aus der Haustür gerannt.“ Erneut stellte Reingruber die Frage, wer für ihn in Frage käme. Jakob zuckte die Schultern. „Man erzählt sich so allerlei hier... Sicher ist nur, dass es dort nicht mit rechten Dingen zu und her ging.“ Er beugte sich vor. „Ich würde auf jeden Fall der Margarethe hier gegenüber einen Besuch abstatten. Die alte Klatschtante hat ein Maul, das grösser ist als ihre Ohren, aber es ist oft was wahres dran.“ Die beiden Polizisten sahen aus dem Fenster. Im Haus gegenüber, im ersten Stock, wurde hastig eine Gardine vorgeschoben. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, melden Sie sich, wenn Ihnen sonst noch was einfällt.“ Jakob verliess den Raum, Lukas kritzelte etwas in seine Notizzen. „Darf ich Sie fragen, warum Sie von allen wissen wollen, wer es ihrer Meinung nach gewesen sein soll?“ Reingruber sah ihn an. „In den meisten Fällen ist der Täter immer jemand, den das Opfer kannte. Und das hier ist ein sehr kleines Dorf. Hier passiert nichts, was nicht jemandem auffallen würde.“ Lukas zuckte mit den Schultern. „In den meisten Fällen wird den Leuten aber auch nicht der Kopf eingeschlagen.“ Reingruber seufzte. „Zeit, der Klatschtante einen Besuch abzustatten.
Reingruber klopfte an die Tür, Lukas stand hinter ihm. Nach einer Weile öffnete ihnen eine kleine, alte Frau. Ihre Miene verfinsterte sich schlagartig, als sie die beiden Polizisten sah. „Ich wusste, dass sie kommen würden“, sagte sie und hielt ihnen die Tür auf. Drinnen war es warm und roch nach alten Möbeln. Margarethe setzte sich an den Tisch und schenkte drei Gläser Wasser ein, die bereits auf dem Tisch standen. „Sie sind also wegen den Grubers hier. Schlimme Sache. Aber es musste so kommen, wenn Sie mich fragen.“ Lukas hob eine Augenbraue. „Wie meinen Sie das?“ Die Alte legte den Kopf etwas schief. „Die waren geizig. Ich glaube, der Geiz war ihr Grab. Sparten überall, wo sie nur konnten. Es kommt nie gut raus, wenn man Leute illegal auf'm Hof beschäftigt. Kann gut sein, dass einer dieser Wegelagerer sie auf dem Gewissen hat.“ Lukas schrieb weiter Notizen, Reingruber nickte. „Und das ist erst der Anfang! Nehmen Sie die Viktoria Gabriel. Verwitwet, wie Sie bestimmt wissen. Ihr Ehemann Karl Gabriel ist im ersten Weltkrieg gefallen. Aber Ursula hat mir erzählt, sie hätte ihn neulich gesehen, wie er nachts um ihr Haus schlich.“ Reingruber sah sie an. „Hatte er einen Schnurrbart, als er offiziell noch am Leben war?“ Sie schien zu überlegen. „Nein, nicht dass ich wüsste... Aber er hatte auf jeden Fall einen guten Grund wütend auf sie zu sein.“ Lukas sah von den Notizen auf, als sie nicht weitersprach. „Und der wäre?“ - „Nun ja, der kleine Josef kam lange nach seinem Tod auf die Welt, das heisst, Karl kann unmöglich der Vater sein. Nach seinem Abgang hat sie was mit dem Ortsführer, dem Lorenz Schlittenbauer, angefangen. Gut möglich, dass das Kind von ihm ist. Und das ist noch nicht das Schlimmste.“ Sie machte eine dramatische Pause. „Sagen Sie mir, ist Ihnen, als Sie das Haus durchsucht haben, etwas Seltsames aufgefallen? Ein Versteck oder etwas in der Art?“ Reingruber sah Lukas an, der von seinen Notizen aufblickte. „In der Tat war auf dem Dachboden ein Strohlager mit zwei Mulden, und ein paar Ziegel waren verschoben, sodass man in den Hof sehen konnte“ Die Alte nickte zufrieden. „Dacht' ich's mir schon. Im Dorf geht schon seit langem das Gerücht um, Viktoria und ihr Vater Andreas hätten eine Beziehung, und zwar nicht eine normale Vater-Tochter, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Sie warf dem Kommissar einen vielsagenden Blick zu und trank einen Schluck aus ihrem Glas. „Sie meinen Inzest?“ Die Alte nickte. „Schlimme Sache. Der kleine Joseph könnte sogar von ihm stammen. Aber jetzt sind Sie an der Reihe. Was ist denn genau mit den Grubers passiert?“ Reingruber zögerte. Es war nicht seine Art, über offene Fälle mit Fremden zu reden, aber die Alte wusste wahrscheinlich mehr als die Gesamte Polizei. „Man hat sie in den Stall gelockt und ihnen den Schädel eingeschlagen, die Magd und der kleine Josef fanden wir im Haus, ebenfalls mit eingeschlagenem Kopf. Einen Raub konnten wir ausschliessen. Kennen Sie jemanden, der zu sowas in der Lage wäre?“ Die Alte sah ihn an. „Nun ja, das tönt nach der Tat eines sehr wütenden Mannes oder eines Geisteskranken. Wir alle konnten die Grubers nicht leiden, aber wir sind zivilisiert. Wir schlagen niemandem den Kopf ein, ausser er hat's verdient.“ Lukas sah auf. „Ist Inzest kein Grund?“ - „Doch, aber das betrifft die meisten hier im Dorf nicht. Die einzigen, die hier in Frage kämen, sind Lorenz Schlittenbauer, Karl Gabriel, Joseph Bärtl. Die Wegelagerer würd' ich ausschliessen. Wenn Geld der Grund ist, dann wären wir doch alle Verdächtige, nicht wahr?“ Die Alte gluckste. Lukas notierte sich die Namen. „Wer ist Joseph Bärtl?“ Die Alte machte ein überraschtes Gesicht, dann begriff sie. „Ah! Stimmt, Sie sind ja nicht von hier. Bärtl ist unser Bäcker. Armer Kerl. Hat den Tod seiner Tochter Amanda nie verkraftet. Die kleine ist im Winter krank geworden und nie wieder geheilt... Und eines Tages war sie dann tot. Er ist deshalb auch in der Anstalt gelandet, wissen Sie? Hatte eine Schraube locker. Ist vor knapp 'nem Jahr dort ausgebüxt und hat die Bäckerei geöffnet. Er würde sogar als gesunde Person durchgehen, wenn er nicht so unheimlich wäre. Er hat so ne komische Art, die Leute anzustarren. Vielleicht lass ich mich aber auch von den Geschichten beeinflussen.“ - „Und Sie haben nie daran gedacht, es dem Pflegeheim zu sagen, dass ihr Patient jetzt Bäcker hier im Dorf ist?“ Die Alte lachte. „Ach, Herr Kommissar, wo kämen wir denn hin, ohne Bäcker? Wir brauchen das Brot. Ausserdem ist es gut.“ Reingruber stand auf und gab ihr die Hand. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Die Alte erhob sich und geleitete die beiden Polizisten zur Tür. „Tu ich doch gern. Und finden Sie den, der das getan hat.“
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© Linda E. Wilhelm
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