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Sie waren kaum am Hof angekommen, da kam Markus auf sie zugeeilt. „Da seid ihr ja! Ich hab euch überall gesucht, Kollegen. Kommt, Johann hat was gefunden.“ Johann stand hinter seinem improvisierten Seziertisch, der jetzt leer war. Reingruber ging zu ihm. „Was gibt's Neues?“ - „Dem Geruch und ihrem Zustand nach zu urteilen sind die Grubers in der Nacht vom 31. März auf den 1. April getötet worden. Es ist noch nicht genau klar, in welcher Reihenfolge, aber fest steht, dass der Täter, die Mehrzahl konnte ich bereits ausschliessen, Linkshändler ist, und er hat die Familienmitglieder in den Stall gelockt, wo er sie mit einer Reuthaue erschlagen hat. Danach ist er ins Haus eingedrungen, wo er die Magd und den kleinen Josef erschlug. Ausserdem“, er nahm seine Brille ab, putzte die Gläser an seinem Hemd und setzte sie wieder auf. Er sah müde aus. „...konnte ich feststellen, dass die kleine Cäzilia noch mindestens zwei Stunden gelebt hat, bevor sie an der Verletzung erlag.“ Niemand sagte etwas, selbst das allgegenwärtige Kratzen von Lukas Stift auf seinem Notizblock blieb aus.
4. April, Abend: Ereignisreicher Tag. Die Polizei ist gar nicht so unfähig. Die aus München machen mir Sorgen, die scheinen ziemlich hell zu sein. Das Spiel geht Morgen in die zweite Runde.
Reingruber wachte mit den ersten Strahlen auf. Er hatte schrecklich geschlafen, und das Gefühl, etwas vergessen zu haben, bedrückte ihn, lähmte seine Gedanken und raubte ihm den Schlaf. Auf dem Hof wartete Lukas auf ihn. Auch er schien nicht gut geschlafen zu haben. Er hatte einen kleinen Schnitt über der Oberlippe. „Was haben Sie da gemacht?“, fragte ihn Reingruber. Lukas fuhr sich mit der Hand über die Lippen. „Nichts, ich hab bloss mit dem Rasierer gekämpft. Wie Sie sehen, hat er gewonnen. Aber kommen Sie, Kommissar, Markus hat den Monteur aufgetrieben. Er wartet in der Küche.“
Albert sass auf dem Holzstuhl, ihm gegenüber der Kommissar. Lukas stand wieder hinten und kritzelte in sein Notizbuch. „Los, erzählen Sie“, forderte ihn Reingruber auf. Albert begann: „Also, es war am 2. April. Ich war auf dem Nachhauseweg und kam am Hof vorbei. Sie hatten mich mal gebeten, mir den Motor der Futtermaschine anzuschauen, das hab ich dann auch gemacht. Die Tür in den Raum war zu, und als ich jemanden bitten wollte, sie mir zu öffnen, hat keiner aufgemacht, die Tür war verschlossen. Aber drinnen bellte ein Hund. Also hab ich das kleine Schloss aufgebrochen und den Motor repariert. Und während diesen fünf Stunden, die die Reparatur gedauert hat, hab ich keinen Laut gehört. Ausserdem lag da die Post noch vom Vortag, aber ich dachte, sie hätten vergessen, sie reinzuholen. Kann ja passieren. Aber als ich dann wegging, stand das Tor zur Scheune offen, und ich könnte schwören, als ich angekommen bin, war es noch zu, und der Hund war vor der Tür angeleint.“ Reingruber nickte. „Ah! Da ist noch was. Fast hätte ich es vergessen. Abends hab ich gemerkt, dass ich einen Schraubenzieher dort liegen gelassen habe, also bin ich zurück gegangen. Als ich den Hof betreten wollte, stieg Rauch aus dem Kamin. Sobald ich näher treten wollte, kam ein Typ mit 'ner Taschenlampe auf mich zu. Sein Gesicht hab ich nicht gesehen, er hat mich geblendet. Er hat auch nicht geredet und ich bin schnell abgehauen, der Typ hat mir einen Riesenschreck eingejagt.“ Er schauderte. „Und Sie konnten nicht erkennen, ob der Mann einen Schnurrbart hatte?“, fragte Lukas. Albert schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir Leid, es war zu dunkel. Ausserdem war ich geblendet.“ Reingruber lächelte ihn an. „Machen Sie sich deswegen keinen Kopf, Sie trifft keine Schuld. Sie können gehen.“ Albert bedankte sich und ging.
Reingruber drehte sich zu Lukas um, der immer noch Notizen schrieb. „Darf ich Sie fragen, was Sie da immer schreiben?“ Lukas zuckte die Schultern. „Das hab ich so gelernt. Ich schreib alles auf, was mir wichtig erscheint, und schaue es Abends nochmals an. Und manchmal krieg ich eine Erleuchtung, die den Fall vielleicht weiterbringt. Aber bis jetzt hatte ich noch keine.“ es entstand eine kurze Pause. „Wie denken Sie jetzt mit dem Fall fortzufahren?“, fragte Lukas nach einer Weile. Reingruber stand auf. „Die Zeugen, falls wir sie so nennen wollen, haben wir bereits verhört. Ich würde sagen, wir beginnen mit den Verdächtigen. Wen schlagen Sie vor?“ Lukas blätterte kurz in seinen Notizen. „Da wären der Lorenz Schlittenbauer, der gleichzeitig auch die Toten gefunden hat, den Geisteskranken Bäcker Joseph Bärtl, und wenn Sie an Geister glauben, Karl Gabriel.“ Er grinste kurz, hörte aber sofort auf, als er der Kommissar das Gesicht verzog. Lukas entschuldigte sich. „Ich wäre für den Bäcker“, sagte er schliesslich.
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© Linda E. Wilhelm
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