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Reingruber sass alleine da. Draussen war es bereits dunkel, und er las immer noch Lukas' Notizen. Das Licht war schwach und flackernd, er musste die Augen zusammenkneifen, um etwas lesen zu können. Irgendetwas war da, in diesen Notizen, das zeigte, wer der Mörder war, da war er sich sicher, aber er konnte nicht sehen, was es war. Der Kirchturm schlug eins, Reingruber legte sich auf sein Bett und schloss die Augen.
5. April: Ich muss vorsichtig sein. Ich glaube, er hat verdacht geschöpft. Ich muss die Reuthaue loswerden, sonst erwischt er mich noch. Am besten, ich lasse sie auf dem Hof. Ich muss es jemandem in die Schuhe schieben.
Der Kirchturm hatte gerade eins geschlagen, als er aufstand und sein Haus verliess. Er musste unbedingt auf den Hof zurück. Draussen regnete es in Strömen. Im Dunkeln lief er bis zum Hof. Er wagte es nicht, Licht zu machen. Der Kies knirschte unter seinen Schuhen, als er schweren Schrittes auf das Haus zuging. Er stolperte und fiel zu Boden. Ein Hund begann zu bellen und riss an der Leine, die an der Haustür angemacht war. Der Hund machte sich los und stürzte auf ihn zu, bereit, ihn zu zerfleischen. Er tastete mit seiner Hand panisch den Grund ab, bekam einen Stock zu fassen und schlug damit auf den Hund. Er jaulte auf und fiel zu Boden, dann bewegte er sich nicht mehr. Er liess den Arm sinken. „Lassen Sie brav die Reuthaue fallen und drehen Sie sich langsam um“, sagte eine bekannte Stimme hinter ihm. Er betrachtete den Stock. Es war tatsächlich das verschollene Gartengerät.
Plötzlich schreckte Reingruber aus dem Schlaf. Wie hatte er sich nur so täuschen können! Auf einmal ergaben alle Aussagen einen Sinn. Und wie es Sinn ergab! Er griff seine Jacke, seine Dienstwaffe und stürmte hinaus. Atemlos erreichte er den Hof. Dort standen bereits zwei Gestalten, eine hielt die Reuthaue in der Hand, die andere eine Pistole. „He da! Waffen auf den Boden!“, rief Reingruber. Beide drehten sich um. "Herr Kommissar, ich habe ihn erwischt, wie er die Reuthaue verstecken wollte, er hat auch den Hund erschlagen! Es war der Bäcker!“ Die zweite Gestalt wagte es nicht zu sprechen und schüttelte stumm den Kopf. „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt, Lukas!“, rief der Kommissar. „Jetzt hat alles einen Sinn! Du warst nie in München, du warst immer da. Der Mann mit dem Schnauz, der die Grubers vom Waldrand beobachtete. Das warst du! Du hast dich beim Rasieren geschnitten, weil er dir nachwachsen wollte. Deine Notizen hast du alle mit links geschrieben. Auch der Mörder war Linkshändler! Die Dorfpolizisten haben dich nie hierherkommen sehen. Du warst der einzige, der das Haus durchsucht hat. Und du bist der einzige, den der Hund nicht angegriffen hat! Und warum? Weil er dich kannte, Lukas. Ich habe dich immer beobachtet. Als du den Namen des Bäckers gehört hast, hast du gestutzt. Er war der einzige, der deinen Plan durchkreuzen konnte. Von wegen, er hat dich in der Zeitung gesehen! Ich habe in der Anstalt telefoniert. Der Bäcker ist nicht der einzige, der dort vermisst wird. Ein gewisser Lukas Mann ist auch getürmt. Aber im Gegensatz zu unserem Joseph hier, bist du wirklich geisteskrank! Der hatte doch tatsächlich das Gefühl, er könnte mit Gott persönlich reden! Er nannte sich sogar „der Richter“! Auch der Besuch bei der alten Margarethe hat dich verraten. In der Tat verdanke ich es ihr, dass ich erkannt habe, wer du bist. Deine Reaktion auf den Inzest war geradezu herrlich! Was mir die Augen geöffnet hat, war aber, als sie sagte: Wir sind doch alle Verdächtige. Da hatte die Alte aber recht, nicht wahr, Lukas?“ Er zog ein schwarzes Notizbuch hervor. „Das lag in deinem Zimmer. Es ist kein Notizbuch, es ist ein Tagebuch. Es ist aus, Lukas, ergib dich.“ Der Regen goss weiter. Lukas Lächeln erlosch. „Halt's Maul! Die hatten es verdient! Sie alle hatten es verdient! Der liebe Gott konnte das nicht länger mit ansehen!“ Er richtete die Waffe auf Reingruber. Doch Reingruber war schneller. Der Schuss hallte laut durch den Hof. Der Bäcker liess die Reuthaue fallen und rannte davon. Lukas fiel nach hinten in eine Pfütze und blieb dort liegen. Reingruber blickte auf sein starres, wildes Gesicht, das blind in den düsteren Himmel starrte. Er seufzte. „Im grossen und ganzen warst du fast schon ein guter Polizist.“, sagte er zu sich selbst. Am Morgen darauf wurde der Fall geschlossen, Lukas ohne weiteres begraben. Lorenz bedankte sich persönlich bei Reingruber, der noch am selben Tag nach München abreiste. Nach diesem Fall hängte er seinen Job als Kommissar ein für alle Mal an den Nagel und ging in Pension.
© Linda E. Wilhelm
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