Wände
Ich weiss nicht, wie es so weit kommen konnte. Es war anfangs doch so schön. Wir verstanden uns gut, lachten über Witze, halfen uns gegenseitig bei den Hausaufgaben und es gab nichts, was ich ihr nicht erzählt hätte. Wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel, glichen uns wie ein Haar dem anderen. Wir waren füreinander wie ein offenes Buch, wir spürten sofort, wenn die andere etwas drückte. Warum? War es etwas das ich gesagt hatte? War es etwas das ich nicht gesagt hatte? Hatte ich ihr etwas getan? Sie mir? Wir hatten uns verändert. Wir wurden älter, hatten weniger Zeit, nahmen uns weniger Zeit. Zeit fliesst wie ein Fluss. Kaum bemerkbar, treibt sie alles auseinander. Sie lagert Steine auf ihren Grund, und die Steinhaufen wachsen. Zeit bildet Wände, die vielleicht trennen, vielleicht schützen. Langsam, ganz langsam bildet sie diese Wände. Man lebt sich auseinander, ohne zu wissen warum. Und bis man die Wände bemerkt, sind sie bereits zu hoch, um noch darüberklettern zu können.
© Linda E. Wilhelm
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